Sie war ein schüchternes Kind gewesen. Nett, hübsch anzusehen, immer höflich. Goldzöpchen. Beliebt, aber schüchtern. Der Katze hatte sie mal einen Spicker in den Kopf geworfen, dicht überm Auge. „Das war keine Absicht!“ log sie dem verängstigten Vieh hinterher. Sie fand es lustig Maikäfern ein Beinchen nach dem anderen auszureißen, bis nur noch eines übrig war, das wild in der Luft fuchtelnd dem Tod winkte. Einmal hatte sie die Tür fest zugeschlagen, wohl wissend, dass die Finger ihrer älteren Schwester die heransaußende Tür nicht sehen konnten. Später, als sie verheiratet war und wohlerzogen auch zwei Kinder vorweisen konnte, hat ihre äußere Gewalt nachgelassen. Sie verlagerte sie nach innen und verteilte faschistische Parolen. „Du liebst mich nicht mehr!“ oder „Ich liebe dich.“ oder „Wenn du das nicht tust ist Mami ganz traurig.“ Und noch später „Ich bin immer allein. Keiner ist für mich da. Außer dir.“ Ihren Mann kontrollierte sie mit geöffneten Schenkeln.
Er war ein schüchternes Kind gewesen. Nett, hübsch anzusehen, immer höflich. Er hatte sehr gern gelesen, alles verschlungen, was ihm unter die Augen gekommen ist. Sein Lächeln brach Herzen. „Diese Grübchen!“ jodelte die verzückte Damenwelt. Er liebte Tiere, wollte unbedingt Tierarzt werden. Seine Mutter hatte ihn stets in allem unterstützt. War immer für ihn da gewesen. Immer. Die Mädchen himmelten ihn an. Doch er so schüchtern und „Mami.“ Später hat er sich in der Kirche engagiert. Eine Jugendgruppe geleitet, bei Gottesdiensten mitgeholfen. Bis ihn die Falschheit der Menschen dort angewidert hat. Mit der linken Hand beten, mit der rechten das Kind schlagen. Er hörte wieder mehr Musik. Viel. Laut. Wollte studieren, doch plötzlich überfiel ihn eine seltsame jugendliche Melancholie. Er träumte viel in dieser Zeit. Von Liebe, Sex, von Tieren und von Blut. Oft Blut. Er fürchtete sich davor. „Es ist mir alles so egal.“ begann sein Dogma zu werden. Und auch „Lasst mich in Ruhe, ich will allein sein.“