Als ich meinte dich zu lieben

Wollte ich das Alles nicht verlieren

Vor allem deinen Geruch.

Die Falten in deinen Mundwinkeln,
wenn du gelacht hast.
Dein Speichel.

Das wässrige dunkle Leuchten deiner Augen.
Millionen Meter tief.

Dein heisser Atem
in meinem.

Wenn du mich sanft geküsst hast,
mit weichen rasierten Lippen.

Wie du schmeckst.

Brustwarzen wie Speere.
Fordernde Zunge.

Dein zierlicher Körper ein weiter Bogen,
der sich mir entgegenspannt.

Stöhnen im Nacken.
Ein Schnurren.

Der bittere und salzige Geschmack
stoppeliger Achseln.

Die weiche Stelle zwischen
Schenkel und Vulva.

Dein Moosgeruch.
Dein Fluid.

Wie du meinen Schwanz.

Das Gleiten unserer Körper.
In der Sommerhitze.

Mein Sperma.
Dein Körper.

Dein Blick sagt
JA!

Wollte es nie verlieren.
Nie.
Habe es verloren.

Seit ich dich loslassen konnte.
Kann ich dein Gesicht streicheln.

Seit ich dich loslassen konnte.
Bin ich dir näher.
Als je zuvor.

Seit ich dich loslassen konnte,
verwandelte es sich in ein Gedicht.

Fettes Gold

Wenn im November um 16:19 Uhr

die Sonne von rechts

schräg auf die Welt knallt,

die Schatten genüsslich in die Länge zieht,

dann leuchten die Farben fett.

fettgrün,

fettgrau,

Goldfett.

Venushügel in Blattgold.

Junge Bäume spritzen Träume,

Erdefettfeucht,

alles kopuliert, alles Walzer!

Rechts ein scharfer Strich mit dem Lineal

im Himmel,

orangerot,

darunter ein neuer Himmel,

blaugrau,

gegenüber tropfen Wolken

grauorange

auf den Kopf,

hängen tief,

greifbar,

im Zwielicht.

Der Herbst küsst.

 

Tentakolon 1/2

Ich kann deinen Schlüpfer sehen! ruft Yao.
Na und? Ist nur ein Schlüpfer erwidert Yuna. Da pups ich rein. So wie du in deinen Schlüpfer.
Jungs haben keine Schlüpfer, sondern Unterhosen.
Ist da ein Schlitz vorne drin?
Wozu? fragt Yao mit dem schiefem Kopf.
Na zum Rausholen!
Was rausholen?
Den Pillermann!
Ach so. Nö, ich zieh die Unterhose vorne immer runter.
Das ist echt ungerecht, ihr Jungs könnt im Stehen pinkeln.
Ja, Mädchen müssen sich immer hinsetzen oder so, blöd. Aber beim Abschütteln tropft mir manchmal was auf die Hose und alles kommt auch nicht immer raus, das tröpfelt dann in die Unterhose.
Wie bei mir, ruft Yuna und klettert den Baum noch höher hinauf.

Yao traut Bäumen nicht. Zu hoch, zu wild. Er wurde vor zwei Jahren mal von einem wilden Baum abgeworfen, seitdem. Yuna dagegen ist auf Bäumen groß geworden. Yuna und Bäume sind ganz eng. Das sind meine Freunde, sagt sie. Sie flüstern mir Geheimnisse zu. Uralte Geheimnisse. Manchmal erzählen sie aber auch nur Blödsinn. Bäume halt.  In jedem Baum wohnen Geister. Also mindestens einer. Man sieht sie nicht. Ich höre sie aber, wenn ich in einem Baum döse. Sie kichern, plappern über Blätter und Eichhörnchen und den Regen. Das geht aber nur mit Augen zu. Mit Augen auf kann man nicht mit Baumgeistern sprechen, weil sie so schüchtern sind. Sobald man die Augen auch nur ein winzig bißchen aufmacht verschwinden Baumgeister, werden durchsichtig und stumm. Yuna weiss nicht wie Baumgeister aussehen, kann sie ja nicht sehen. Sie kennt auch niemanden, der schon einmal einen gesehen hat. In einem alten Buch in der Schulbücherei hat sie Bilder gesehen. Die hat einer gemalt, so wie er sich Baumgeister halt vorstellt. Weiß, logisch, alle Geister sind weiss, warum eigentlich?, kleiner Körper, großer runder Kopf mit großen dunklen Augen. Drei, vier weisse Blätter als Haare. Manchmal, wenn ich auf einem Ast einschlafe, dann sprechen sie zu mir. Oder kitzeln mich. Baumgeister sind sehr verspielt. Wie Welpen. Baumwelpen. Erst kitzeln sie dich, dann summen sie eine Baummelodie und gucken schief. Man weiss nie woran man ist bei Baumgeistern.

Ich muss zum Fussball-Training, ruft Yao in die Baumkrone.
Ist gut, ruft Yuna, morgen wieder?
Klar, ich hol dich ab.

Yuna setzt sich auf einen Ast und sieht Yao davonschlenkern. Sie mag Yao. Die glatte braune Haut. Witzige Haare. Vor allem die strahlend weissen Zähne. So weiss, die blenden manchmal wenn die Sonne drauf knallt. Gern möchte sie mal an seiner Haut lecken. Schoko? Traut sich aber nicht. Vielleicht findet er das eklig. Irgendwann werde ich. Als Yao weg ist klettert Yuna noch etwas höher, setzt sich rittlings auf einen Ast, lehnt sich gegen den Stamm. Es ist heiss. Sie riecht an ihrer Achsel. Ihr ist aufgefallen, dass sie in letzter Zeit müffelt, wenn sie schwitzt. War früher nicht so. Mama sagt, das ist so, wenn man älter wird, vom Mädchen zur Frau wird. Aber ich bin doch erst elf! Bei Mädchen geht das früher los, sagt Mama dann. Yuna will aber nicht müffeln. Sie duscht jeden Tag, doch der Müffel kommt immer öfter. Und da sind auch Härchen in den Achseln. Feine dunkle Härchen. Was wollen die da? Es ist so heiss. Sie schliesst die Augen. In der Baumkrone lässt es sich einigermassen aushalten. Schatten, die Sonne spitzelt ab und zu durch, wenn die Blätter im Wind. Augen zu und lauschen. Liebt sie. Rascheln der Blätter. Weit weg ein Hund. Fettes Hummelbrummen. Motorrad. Dazwischen weiches Rauschen vom Baum im Wind. Wiege. Rock me baby. Riecht Sommer. Nach trockenem Gras, nach Rinde, Sonne. Yuna döst. Geniesst den Druck des Astes zwischen ihren Schenkeln. Bitte Welt, bleib so!

Hallo! …Was machst’n hier?
Ein Baumgeist. Mitten am Tag! Yuna presst ihre Augen zu. Fest.
Äh, ich sitze hier nur rum. Ich mag Bäume. Sie tut lässig.
Ich auch.
Baumgeister haben eine merkwürdige Stimme. So als sprächen zwei Kinder gleichzeitig. Oder zwei Betrunkene. Oder eine Frau und ein Mann. Irgendwie so halt. Ein piepsiges tiefes Sprechen. Egal.
Wohnst du hier? fragt Yuna
Jepp! Und du?
Nö, bin nur zu Besuch. Höre den Blättern beim Rascheln zu.
Ein Kichern. Die Rascheln doch nicht, die plappern.
Aha, sagt Yuna, und worüber?
Na über dich.
Warum?
Sie mögen dich, obwohl du müffelst. Kichern.
Ja, ich weiss. Nervt mich auch. Müffeln Baumgeister nicht?
Was für ne blöde Frage, natürlich nicht! Geister können nicht müffeln, da ist nix da zum Müffeln.
Ach ja, sagt Yuna kleinlaut. Wie heisst du?
Hä? Kopf schief, hört man am Ton. Was bedeutet das, wie heisst du?
Na, hast du einen Namen? Wie rufen dich die anderen Geister?
Weiss nicht was ein Name ist. Die anderen sagen dodo zu mir.
Darf ich dir einen Namen geben?
Wozu?
Na, wenn ich dich noch mal treffe, dann weiss ich wer du bist.
Und dazu brauchst du einen Narmen oder wie das Ding heisst?
Yuna überlegt.
Nicht wirklich. Vergiss das mit dem Namen.
Was? Kichern.
Pause.
Yuna hört ein Summen. Baummelodie. Yuna hört nen schiefen Kopf.
Wie schön, flüstert sie.
Kichern.
Warum bist du gelb?
Wer? Ich?
Klar, ist hier sonst noch jemand?
Yuna überlegt kurz ob sie die Augen öffnen soll.
Ich bin nicht gelb. Mehr so dunkel…äh…beige. Weil meine Mama aus Indonesien kommt.
Von mir aus.
..Indonesien. Ist das hier in der Nähe?

Ja, gleich ums Eck, schwindelt Yuna, weil der muss ja nicht alles wissen.
Ok, du schwindelst.
Woher weiss…?
Yuna.
Ja? Woher weiss er wie ich heisse?
Suche!
Was?
Suche!
Ich verstehe nicht, was du meinst.
Wir vertrauen dir.
Stille.
Nur Blätterplappern.
Nach einer Weile blinzelt Yuna vorsichtig durch das linke Auge. Keiner da. Alles wie immer. Sie seufzt. Mist! Verbockt! Sitzt da. Guckt sich um. Guckt nach oben.

Da ist was. Schwarze Arme. In einer Baumgabel. Yuna klettert hoch.

Tentakolon 1/1

Albino-Mädchen abgeschlachtet.
Yuna liest nochmal.
Albino-Mädchen abgeschlachtet.
Sie atmet tief.
10 Jahre alt.
Albino-Mädchen abgeschlachtet.

Die weiße Hautfarbe bringt Glück, steht da, deswegen. In Afrika, Tansania. Tansania kennt Yuna nicht, aber Afrika. Sie war schon mit dem Finger dort. Erst haben sie die Kehle aufgeschlitzt, dann haben sie Kopf, Arme und Beine abgehackt und den Rest in den Graben. Weil viele glauben, die Gliedmaßen bringen Glück, Macht oder Reichtum. „Sie schlachten uns ab wie Hühner“. Kinder töten sie vor den Augen ihrer Eltern. Die Beute landet in Zaubertränken, die Haare werden in Fischernetze geflochten, weil dann mehr gefangen wird. Die Haut wird teuer verkauft.

Yuna klebt den Zeitungsausschnitt ins Heft. Seitenweise Menschen. oft Kinder. Gequält, geschunden, bespuckt, getötet, verhungert. Sie legt sich ins Bett und drückt  Einhorn fest an sich. Warum ist die Welt so? Warum machen Menschen so etwas?

Irgendwann, zwischen Abschlachten und Verhungern, schläft sie ein.